Wartezeiten an der Grenze, aufs Be- oder Entladen und infolge von Fahrverboten, Zeiten als Beifahrer, bei der Begleitung von Fahrzeugen auf Fähren und Zügen: Gibt's dafür den Mindestlohn von 8,50 Euro?
Das Bundesarbeitsministerium BMAS ist sich noch nicht sicher. Zunächst war die Antwort klar: "Bereitschaftszeiten sind nach Auffassung des BMAS mit dem Mindestlohn zu vergüten. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts handelt es sich bei Bereitschaftszeiten um vergütungspflichtige Arbeitszeit." Zwar sei es weiterhin möglich, Pauschalen zu bezahlen, erklärt BMAS-Pressesprecher Dominik Ehrentraut. Allerdings müsse gewährleistet sein, dass jede gearbeitete Stunde mit dem Mindestlohn vergütet wird. "Wird ein Verstoß festgestellt, wird er sanktioniert."
Ähnlich hatte es zunächst auch das Bundesfinanzministerium BMF gesehen. Dort ist der Zoll angedockt, der die Einhaltung des Mindestlohngesetzes kontrollieren soll: "Die Ihnen von dort (vom BMAS; d. Red.) mitgeteilte Rechtsauffassung wird durch das BMF geteilt", konstatierte die Pressestelle gegenüber dem TRUCKER.
FINANZMINISTERIUM RUDERT ZURÜCK
Die Ministerien beziehen sich auf diverse Urteile des Bundesarbeitsgerichts BAG. In Bezug auf Rettungsdienste wurde 2010 klargestellt: "Unter der Arbeitsbereitschaft ist eine Beschäftigung zu verstehen, bei welcher der Arbeitnehmer während der Bereitschaft gewisse Kontroll- und Beobachtungspflichten hat, um im Bedarfsfall von sich aus tätig zu werden." Außerdem im Jahr 2012: "Bereitschaftszeiten, die innerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit liegen, sind Zeiten tatsächlicher Arbeitsleistung (...)."
Dass Bereitschaftszeiten also zur Arbeitszeit gehören, scheint inzwischen unstrittig. Allerdings hatte das BAG im Jahr 2002 ausdrücklich festgestellt, dass Bereitschaftszeit durchaus geringer vergütet werden darf als "reguläre" Arbeitszeit (BAG 1 AZR 114/02). Im November 2014 setzte es wiederum diesem "geringer vergütet" eine Untergrenze: den Mindestlohn. Das Urteil bezog sich allerdings auf die Pflegebranche. Ob es sich in Zukunft gleichermaßen auf die Transportbranche anwenden lässt, müssen möglicherweise auch erst die Gerichte klären.
Selbst in den strukturschwächeren Regionen in Deutschland sind die Unternehmer der Transportbranche überwiegend der Meinung, sie würden jetzt schon einen Stundenlohn von 8,50 Euro bezahlen. Wenn für sämtliche "Leerlaufzeiten" aber ebenfalls 8,50 Euro zu bezahlen sind, sieht es duster aus.
Das hat wohl inzwischen auch das BMF erkannt und rudert zurück: "Bislang ist noch nicht abschließend mit dem BMAS abgestimmt, inwieweit Be- und Entladezeiten oder Bereitschaftszeiten mit dem Mindestlohn zu vergüten sind. Bis dahin nimmt die FKS die dargelegten geleisteten Stunden (einschließlich Be- und Entladezeiten sowie etwaiger Bereitschaftszeiten) der Fahrer zur Kenntnis."
RÜCKENDECKUNG VON POLENS GEWERKSCHAFTEN
Zusätzlichen Sprengstoff birgt die Durchsetzung des Mindestlohns bei ausländischen Transitfahrern. Auch darauf pochte zunächst die Bundesregierung. In Polen und Tschechien protestierten die Spediteure. Ende Januar teilte Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles mit, auch diese Regelung werde vorerst ausgesetzt.
In Polen und Tschechien sehen Transportunternehmer ihre Arbeit durch die deutschen Regelungen bedroht. Jan Buczek, Vorsitzender des Verbands internationaler Transportunternehmer in Polen (ZMPD), sucht das Gespräch mit Europaparlamentariern, um gegen die deutsche Regelung vorzugehen. Die Erhöhung der Kosten im Transportwesen könne den Bankrott polnischer Firmen bedeuten.
Der Konkurrenzdruck ist nach Ansicht des tschechischen Branchenverbandes Cesmad Bohemia enorm. "Wir wären froh, wenn unsere Lkw-Fahrer genauso viel verdienen könnten wie ihre deutschen Kollegen, aber das entspricht nicht den wirtschaftlichen Realitäten", sagte Sprecher Martin Felix.
Rückendeckung gibt es hingegen von polnischen Gewerkschaften. In einem Brief bitten sie Bundesarbeitsministerin um Aufrechterhaltung ihrer Position.
Der deutsche Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung BGL ist alarmiert, seitdem sich die EU-Kommission mit den Mindestlohnvorschriften für gebietsfremde Transportunternehmen in Deutschland beschäftigt.
Auf Grundlage der "vorliegenden Informationen" sieht die Kommission Mindestlohnvorschriften nicht im Einklang mit der Entsenderichtlinie, schreibt der BGL in einer Pressemitteilung. "Wenn keine Dienstleistungen für in Deutschland tätige Vertragsparteien erbracht werden, fallen diese nach Auffassung der EU-Kommission wohl nicht unter die Mindestlohnvorschriften."
Die Zweifel bestünden nicht nur für den Transitverkehr, sondern "die EU-Kommission hegt ebenfalls für Verkehre, die von gebietsfremden Auftraggebern für Dienstleistungen in Deutschland disponiert werden, Zweifel daran, dass diese nach der Entsenderichtlinie den Mindestlohnbedingungen unterworfen werden dürfen", meint der BGL.
"Der Super-Gau wäre perfekt", befürchtet der Verband. Der Einsatz von gebietsfremden Subunternehmen durch deutsche Unternehmen bliebe mindestlohnpflichtig. Auftraggeber mit Sitz im Ausland würden nicht unter die Mindestlohnbestimmungen fallen.
FRAGE DER KONTROLLE VOLLSTÄNDIG UNKLAR
Pawel Grabski, Vorstandsmitglied der polnischen Spedition Grabski, hält die Forderung an ausländische Unternehmen, künftig bei Fahrten nach Deutschland den Mindestlohn zu bezahlen, für nicht durchsetzbar. "Für unser Unternehmen wären die Lohnkosten nicht akzeptabel," sagte Grabski in einem Interview mit dem TRUCKER-Schwesterblatt VerkehrsRundschau. "Wir können den Mindestlohn in dieser Form keinesfalls akzeptieren. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass das in der Praxis durchgesetzt, geschweige denn kontrolliert werden kann." Grabski weiter: Die Formulare für den Zoll, in denen versichert wird, dass die Spedition Grabski den Mindestlohn zahlt, würden "ganz bewusst" nicht ausgefüllt. "Wir bezahlen nun mal keine 8,50 Euro Grundlohn."