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MAN-Interview: "Euro 7? Nicht, wenn wir schlau sind"

30.06.2022 08:05 Uhr | Lesezeit: 5 min
MAN Vlaskamp
Alexander Vlaskamp hat sich bei Scania bis in den Vorstand hochgearbeitet. Jetzt ist er Vorstandssprecher bei MAN
© Foto: MAN Truck & Bus

Alexander Vlaskamp übernahm in schwierigen Zeiten den Chefsessel bei MAN. Zulieferprobleme und E-Mobilität machen seinen Job nicht leicht. Im Interview verrät er, in welchen Antrieb er investieren würde und wie er die Kunden bei der Stange hält.

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Wie es heißt, produziert MAN nach Umstrukturierungen jetzt wieder normal?

Jetzt ja. Nach einigen Wochen des Kriegs haben die Mitarbeitenden bei den Zulieferern vor Ort wieder freiwillig begonnen zu arbeiten. Sie wollten es, und es funktioniert aktuell auch – wenn auch noch nicht ganz, wie auf dem Niveau vor dem Krieg. Absolute Priorität hat für uns immer die Sicherheit der Menschen. Zugleich haben wir nun angefangen, Kabelbäume aus der Duplikation der Fertigung zu nutzen. Hier erfolgt der „Hochlauf “ natürlich auch nur schrittweise. Zunächst werden an den Duplikationsstandorten im Wesentlichen Standardsätze mit geringer Komplexität produziert. Bis die Standorte auf vollen Touren laufen, dauert es noch einige Zeit. Die Lieferketten bleiben also angespannt, und die Situation bleibt weiter volatil, auch wenn die Produktion nun wieder hochläuft.

Das heißt, aktuell gibt es vor allem „Standard-Lkw“?

Im Prinzip ja. Normalerweise dauert es 14 bis 16 Monate, um ein Werk für Kabelbäume aufzubauen. Das haben wir im Verbund mit den Zulieferern jetzt de facto in acht Wochen geschafft. Dabei mussten wir uns zunächst aber auf zwölf Standardvarianten konzentrieren. Mit diesen Varianten können wir den Großteil unseres Produktprogramms abdecken – aber eben nicht alle spezifischen Kundenwünsche. Das kommt erst nach und nach. In der Situation sind wir proaktiv und transparent auf unsere Kunden zugegangen und haben gemeinsam Lösungen gesucht, um gerade kurzfristige Fahrzeugbedarfe zu erfüllen. Aktuell produzieren wir wieder etwa 320 Fahrzeuge pro Tag. Insgesamt gesehen ist diese Situation natürlich bitter. Denn gerade kam die Versorgung mit Halbleitern wieder in Schwung und wir sind wieder auf halbwegs „normale“ Zeiten zugesteuert.

Wir hören trotz der beschriebenen Informationspolitik Kritik. Vor allem beim Thema Lieferzeiten...

Der Markt ist immer noch sehr, sehr volatil und die Lieferketten noch längst nicht wieder vollkommen intakt. Wir können den Kunden aktuell nur indizieren, wann welches Fahrzeug kommt. Das frustriert natürlich beide Seiten enorm. Aber auf jeden Fall versuchen wir, so klar und transparent wie möglich mit unseren Kunden zu kommunizieren.

Wir haben Klagen gehört, dass laufende Verträge storniert werden sollen und man mit einem Neuvertrag schneller zum neuen Lkw käme – aber deutlich teurer?

Wir haben immer möglichst zeitnah versucht, unsere Schritte detailliert zu begründen. Fahrzeuge mit Standardkabelsätzen können wir aktuell eben schneller liefern als solche mit hohem Grad an Individualisierung. Der wesentliche Grund für die Preisanhebung sind natürlich die aktuellen Steigerungen bei den Energie- und Logistikkosten sowie den Materialkosten. Beispielsweise mussten wir allein im März rund 300 Euro pro Tonne Stahl zusätzlich bezahlen. Das können wir als Unternehmen nicht ohne Preiserhöhung stemmen. In Anbetracht dessen habe ich auch Respekt vor der Entscheidung von Kunden, wenn sie Fahrzeuge nicht mehr abnehmen wollen. Andererseits werden neue Lkw dringend benötigt. Wir drehen uns im Moment ein wenig im Kreis. Die Auftragsbücher sind voll bis weit ins nächste Jahr. Aber wir können nicht so liefern, wie wir wollen und es die Kunden von uns gewöhnt sind...

Wie man auf den Plätzen sieht, gibt es aktuell wohl auch keine Gebraucht-Lkw mehr?

Stimmt, wir haben einen historisch niedrigen Hofbestand. Und dass bei einer Wirtschaft, die weiterhin gut läuft. Wir wissen von unseren Kunden, dass die Fahrzeuge im einsatz sind - trotz hoher Kraftstoffkosten und der schlechten Verfügbarkeit von Fahrern.

Bei all der Probleme, die wir aktuell haben, was erwartet MAN für 2023/2024?

Wir sehen aufgrund der stark steigenden Inflation aktuell eher Risiken im europäischen Währungsraum. Die Wachstumsraten dürften sich abschwächen. Für den Lkw-Markt können wir bis 2025 dennoch verhalten optimistisch sein und von einer weiter steigenden Nachfrage ausgehen. 2020/2021 waren die Niveaus relativ niedrig. Auch das erste Quartal 2022 war situationsbedingt noch relativ schwach. Hier ist also mit Basiseffekten zu rechnen. Trotz boomender Branche und voll ausgelasteter Lkw gab es die letzten zwei Jahre keinen normalen Ersatzzyklus. Wir haben demzufolge viele ältere Lkw im Markt, die auch irgendwann ersetzt werden müssen. Aktuelle Fahrzeuge sind nochmals effizienter und müssen zu den Transportaufträgen von morgen passen. Nicht zu vergessen, freuen sich auch die Fahrer über einen neuen und komfortableren Lkw. Auch das demnächst anstehende Digitaltacho-Update treibt normalerweise den Bedarf. Ende 2024 kommen darüber hinaus neue Anforderungen in puncto Assistenzsysteme. Solche Technologiesprünge, ebenso wie die bei der Abgasnormierung, beleben den Markt. Zusammenfassend beurteilen wir die Situation bis 2025 im Lkw-Markt in Deutschland und Europa daher durchaus positiv. Natürlich bleiben offene Fragen, was die geopolitischen Rahmenbedingungen angeht.

Von unseren Lesern erreichen uns einige Hiobsbotschaften: teurer Diesel, noch teureres Erdgas, Fahrermangel. Manche sprechen vom Aufgeben...

Das sehen und hören wir natürlich auch. Aber damit sind natürlich nicht nur die deutschen Spediteure konfrontiert. Insgesamt übernehmen die zentralen osteuropäischen Länder immer mehr Transportaufgaben in Westeuropa. Das führt dazu, dass in Ländern wie Rumänien inzwischen ebenfalls der Fahrermangel ein Thema ist.

Geht die Verschiebung Richtung Osteuropa weiter?

Was wir sehen ist, dass immer mehr westeuropäische Speditionen Fahrer aus Osteuropa engagieren. Aus unserer Beobachtung tragen die Lkw, mit denen diese Fahrer unterwegs sind allerdings keine deutschen oder niederländischen Kennzeichen. Wir müssen jetzt erst einmal sehen, wie sich der EU-Mobilitätspaket auswirkt. Wir beobachten bereits erste Verschiebungen zurück. Trotzdem gibt es natürlich weiterhin einen Kostenwettbewerb und hier und da auch immer mal ein schwarzes Schaf.

Sprechen wir über ein Thema, das die Branche beschäftigt: alternative Antriebe. Was sagen Sie Kunden, welche Antriebstechnik sie in den beiden folgenden Investitions-Zyklen favorisieren sollen?

Das ist eine sehr gute Frage, deren Antwort europaweit tatsächlich unterschiedlich ausfallen kann und in erster Linie abhängig von lokaler Förderung sowie der Ladeinfrastruktur ist. In dem Punkt müssen wir viel mehr daran arbeiten, der Politik darzulegen, was möglich ist. Klar können wir die Produkte darstellen, aber wir brauchen auch die Infrastruktur. Wir sehen irgendwann den exponentiellen Hochlauf der Batterie-Elektrik. Für den Verbrennungsmotor rechnen wir dann entsprechend mit einer rückläufigen Nachfrage ab der zweiten Hälfte des Jahrzehnts. Getrieben durch die EU-Gesetzgebung, erwarten wir, dass 2030 bereits 50 Prozent unserer Neuverkäufe im Fernverkehr batterieelektrisch sein werden. Betrachten wir den Zeithorizont bis 2025, für den wir CO2 um 15 Prozent reduzieren müssen, erreichen wir das auch mit vielen kleinen Schritten, die wir noch auf der Verbrennerseite machen.

Wer also schlau ist, kauft zumindest im nächsten Zyklus noch einen Euro-6-Diesel?

Das kann ich unterschreiben. Und damit hat man momentan noch die besten Abgasemissionen und den niedrigsten Verbrauch.

Wie sieht es mit Euro 7 aus, das ja schon am Horizont steht?

Euro 7 ist heute noch nicht festgelegt und es gilt, mögliche Einsparungen sowie den Effekt auf die Umwelt genau zu bewerten. Denn bis es wirksam wird, werden wir schon batterieelektrische Fahrzeuge haben. Außerdem: Der heutige Nutzfahrzeugmarkt in Europa hat ein Durchschnittsalter von 13 Jahren. Das heißt, mehr als die Hälfte weist Euro 5 oder schlechter auf. Hier haben wir durch die konsequente Erneuerung auf Euro-6-Fahrzeuge noch großes Potenzial. Ungeachtet der Schadstoffnorm verbraucht ein Euro-5-Fahrzeug von damals bis zu 15 Prozent mehr Kraftstoff. Und das ist auch eins zu eins CO2-Reduktion. Das CO2-Ziel für 2025 könnte so noch einmal um 15 Prozent verbessert werden, und dies unabhängig von der Einführung einer Euro-7-Norm. Denn was wir in Euro 7 investieren, fehlt uns an Investment bei der Elektromobilität.

Heißt das, dass MAN Euro 7 für den Verbrenner eventuell gar nicht mehr angeht?

Das hängt vom Zeitpunkt ab, für den Euro 7 verbindlich wird. Je später dieser kommt, desto mehr müssen wir darüber nachdenken. Zumal ja auch Überlegungen im Raum stehen, die bisher vereinbarten 30 Prozent CO2-Reduktion bis dahin noch zu verschärfen. Allerdings ist auch das noch ungewiss. Nicht zu vergessen, bekommen wir für die Spediteure das Emission-Trading-System, das voraussichtlich 2025 bis 2027 umgesetzt werden soll und das die Logistik in den CO2-Emissionshandel zwingt. Je nachdem, wie die Szenarien laufen, steigt die Kurve der batterieelektrisch betriebenen Nutzfahrzeuge schneller oder langsamer. Alles in allem stehen wir OEM vor einem Mischpult mit ganz vielen Schiebereglern, aber letztendlich wissen wir noch nicht genau, welche Effekte wann genau einsetzen. Wir müssen daher auf alle Fälle vorbereitet sein. Deswegen arbeiten wir auch weiterhin am Verbrenner und forcieren batterieelektrische Antriebe.

Wie wir gehört haben, zieht MAN die Flottenerprobung der E-Trucks für den Fernverkehr um ein Jahr nach vorne.

Ja, genau! 2025 war eigentlich der Plan. Wir starten aber jetzt mit einer ersten Vorserie 2024 und bauen dann unser Serien-Elektroportfolio weiter aus. Wie es dann im Detail weitergeht, entscheidet sich anhand der vorher schon genannten Punkte: CO2-Vorgaben, Emission-Trading-System, mögliche Förderprogramme und auch über die Ladeinfrastruktur. Wir erarbeiten auf jeden Fall gerade, wie wir auf unserer Produktionslinie in gleichem Takt Fahrzeuge mit batterieelektrischen und konventionellen Antrieben parallel produzieren können.

Das Thema Ladeinfrastruktur könnte ja auch noch ein Knackpunkt sein?

Die Förderkulisse dazu wird gerade erst ausgearbeitet und die Details sind noch unklar. Unabhängig davon machen wir über die Traton Group in Kooperation mit Daimler Truck sowie der Volvo Group den ersten Schritt und investieren selbst 500 Millionen Euro in die E-Ladeinfrastruktur. Aber wir können das allein nicht stemmen. Und eines muss uns auch klar sein: Selbst wenn bis 2030 um die 40 bis 50 Prozent batterieelektrisch betriebene Lkw unterwegs sein werden, besteht weiterhin Bedarf an effizienten Verbrennern.

Das klare Bekenntnis zur Batterieelektrik des VW-Konzerns steht noch?

Ja, das Bekenntnis zum BEV steht!

Wie ist es, als ‚Scania-Gewächs‘ plötzlich zwar für eine andere Konzerntochter, aber dennoch für einen Wettbewerber tätig zu sein – hilft es Synergien zu nutzen?

Ich hatte auch als Scania-Mitarbeiter über die Jahre immer Kontakt zu unseren MAN-Kollegen. Ich habe die Marke MAN immer geschätzt und hatte schon immer großen Respekt für das, was MAN gemacht hat. Daher habe ich mich geehrt gefühlt, dass mir die Aufgabe des CEO bei MAN zugetraut worden ist. Ich freue mich hier im Team aufgenommen worden zu sein. Mit diesem Team setzen wir die neue Strategie nun konsequent um und haben signifikante strukturelle Veränderungen beispielsweise in unserem Produktionsnetzwerk vorgenommen - gemeinsam mit der gesamten Belegschaft. Und wir werden gemeinsam Kurs halten. Natürlich werden wir mit Scania und unseren neuen Kolleginnen und Kollegen von Navistar noch einiges entwickeln. Etwa eine globale, modulare Plattform, in der wir nicht nur die Komponenten integrieren können, sondern mit der wir vor allen Dingen bei den Schnittstellen mehr Flexibilität haben. Aber meine Aufgabe ist es natürlich, Produkte und Services bei MAN weiter zu entwickeln. Wir haben etwa 17 Prozent Marktanteil in Europa. Die gilt es zu halten und auszubauen. Unsere Kompetenz im mittleren und leichten Segment müssen wir in den Konzern einbringen. Nicht zu vergessen ist der gesamte Busbereich, in welchem wir bei MAN sehr viel Erfahrung haben. E-Fahrzeuge werden, ungeachtet ob Truck oder Bus, künftig eine ganz neue, interessante Welt sein. Aber bei aller Fokussierung auf das Thema Fahrzeug muss die gesamte Logistik funktionieren. Damit unsere Kunden „just in time“ liefern können – auch ohne Verbrennungsmotor. Deswegen ist es wichtig, dass wir nun schnell Fahrt aufnehmen, weiter „E-Erfahrungen“ sammeln und uns in der Praxis weiterentwickeln.

Dieses Interview führt Gerhard Grünig. 

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