Nach Corona und dem Krieg gegen die Ukraine ist die Energiekrise innerhalb kurzer Zeit die dritte Krise, mit der sich die deutsche Wirtschaft auseinandersetzen muss. Den daraus resultierenden negativen ökonomischen Auswirkungen kann sich auch der Mittelstand nicht entziehen, zeigt eine repräsentative Umfrage der DZ Bank und des Bundesverbands der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR) unter mehr als 1.000 mittelständischen Unternehmen. Besonders deutlich wird dies an den Geschäftserwartungen, die angesichts der enormen Kostenbelastungen auf einen neuen historischen Tiefstand gesunken sind.
"Kräftig steigende Energie-, Rohstoff- und Vorleistungsgüterpreise, andauernde Material- und Personalengpässe, eine schwächere Weltwirtschaft und enorme Unsicherheiten, nicht zuletzt über die inländische Gasversorgung, setzen die Unternehmen aus verschiedenen Richtungen unter erheblichen Druck", sagt Andreas Martin, Vorstandsmitglied des BVR. Vor diesem Hintergrund drohe die gesamtwirtschaftliche Entwicklung erneut in eine Rezession abzugleiten. "Die Erfahrungen der letzten Jahre lassen aber hoffen, dass der Mittelstand auch unter diesen schwierigen Rahmenbedingungen erfolgreich agieren wird. Zuversichtlich stimmt, dass der Mittelstand als Ganzes seine Bilanzqualität trotz konjunkturell teilweise sehr stürmischen Fahrwassers 2020 und 2021 nicht nur bewahren, sondern merklich verbessern konnte", so Martin weiter.
Die Geschäftserwartungen sind gegenüber der vorherigen Umfrage vom Frühjahr 2022 in allen betrachteten Branchen und Unternehmensgrößenklassen eingebrochen. Der Saldo aus optimistischen und pessimistischen Antworten zu den Geschäftserwartungen für die nächsten sechs Monate ist im Herbst insgesamt auf -43 Punkte gefallen. Er markiert damit ein neues Allzeit-Tief. Vor sechs Monaten, als der Ukraine-Krieg gerade begonnen hatte, betrug der Antwortsaldo noch "lediglich" -4 Zähler.
Selbst zum Höhepunkt der Finanzkrise waren die Mittelständler nicht so pessimistisch gestimmt wie heute, was ihre Geschäftserwartungen betrifft.
Auch ihre aktuelle Geschäftslage bewerteten die Mittelständler schwächer als zuvor. Der Antwortsaldo der Geschäftslage fiel von 60 Punkten im Frühjahr auf 45 Punkte, nachdem er vor einem Jahr noch bei 68 Punkten gelegen hat.
Es gibt aber Anlass zur Hoffnung, dass sich die Stimmung bald wieder merklich bessert. Denn immerhin sorgen sich die Unternehmen heute weniger um eine mögliche Gasmangellage als noch vor ein paar Monaten. Durch die Lieferungen aus Norwegen, Belgien und den Niederlanden sind die deutschen Gasspeicher vor dem Winter gut gefüllt und die ersten Flüssiggasterminals dürften zum Jahresende ans Netz gehen.
"Immer mehr Mittelständler beschäftigen sich zudem mit dem Thema Erneuerbare Energien und viele haben bereits erste Investitionen angestoßen, um unabhängiger zu werden", erklärt Uwe Berghaus, DZ BANK Firmenkundenvorstand. "Die Nachfrage nach Finanzierungen in diesem Bereich hat seit Ausbruch des Krieges spürbar zugenommen. Der Mittelstand hat das Potenzial, die Nutzung von Erneuerbaren Energien in der deutschen Wirtschaft salonfähig zu machen."
Aufgrund der stark gestiegenen Energiekosten, aber auch wegen deutlich höherer Einkaufspreise sahen sich die Mittelständler zuletzt immer stärker zu Preissteigerungen gezwungen. Rund drei Viertel aller Umfrageteilnehmer gaben bereits zum zweiten Mal in Folge an, dass sie ihre Absatzpreise in den vergangenen sechs Monaten erhöht haben. Preissenkungen haben demgegenüber lediglich jeweils 2 Prozent der Befragten gemeldet.
Immerhin scheint sich langsam ein Ende der immer neuen historischen Höchststände bei der Preisentwicklung anzudeuten. Zumindest ist in diesem Herbst der Anteil der Unternehmen leicht gesunken, die in den kommenden sechs Monaten ihre Preise erhöhen wollen. Gaben vor einem halben Jahr noch 69 Prozent der Befragten an, dass sie ihre Absatzpreise steigern wollten, und nur 2 Prozent, dass sie Preissenkungen planten, waren es in der aktuellen Umfrage 68 Prozent bzw. 6 Prozent. Damit fiel der Saldo aus geplanten Preissteigerungen und Preissenkungen seit dem Frühjahr leicht von 67 Punkten auf 62 Punkte. Das ist aber immer noch der zweithöchste Wert seit Bestehen der Mittelstandsumfrage.
Angesichts der hohen Kostensteigerungen und der bevorstehenden Rezession ist es nicht weiter verwunderlich, dass die Investitionsneigung im Mittelstand in diesem Herbst erneut gefallen ist. Das ist inzwischen bereits der dritte Rückgang in Folge. Mittlerweile planen nur noch zwei Drittel der mittelständischen Unternehmen, in den kommenden sechs Monaten in ihr Unternehmen zu investieren. So gering war dieser Anteil seit der Finanzkrise nicht mehr. Zudem planen nur noch 19 Prozent der Mittelständler, die in diesem Herbst und Winter Investitionen tätigen wollen, ein höheres Investitionsvolumen, also nicht einmal jeder Fünfte. Auch dieser Indikator fiel zuletzt in der Finanzkrise schwächer aus.
Die größte Abnahme der Investitionsbereitschaft gab es bei den Mittelständlern in der Elektroindustrie. Das Branchenschlusslicht bleibt aber weiterhin die Agrarwirtschaft.
Überdurchschnittlich fällt die Investitionsbereitschaft dagegen bei den Mittelständlern in der Chemie- und Kunststoffbranche und bei den Dienstleistungen aus.
Die Energiekrise zeigt direkte Auswirkungen auf die aktuellen Problemfelder der mittelständischen Unternehmen. So haben die Energiekosten in diesem Herbst den Fachkräftemangel als größtes akutes Problem abgelöst. 88 Prozent der Mittelständler identifizierten die gestiegenen Energiekosten als Problem für ihr Unternehmen. Vor einem halben Jahr waren es 82 Prozent der Befragten.
Auch wenn der Fachkräftemangel damit von seiner Spitzenposition bei den aktuellen Problemfeldern rutscht, ist er weiterhin ein dringliches Problem für den Mittelstand. Vier von fünf Befragte identifizieren den Fachkräftemangel auch weiterhin als wichtiges aktuelles Problem. In der Frühjahrsumfrage waren es mit 83 Prozent der Befragten aber noch etwas mehr gewesen.
Auf Rang 3 der von den Mittelständlern derzeit meistgenannten Problemfelder folgt wie schon in der Frühjahrsumfrage die Sorge um die hohen Rohstoff- und Materialkosten. Auch dies betrifft rund 80 Prozent der Befragten und damit nur marginal weniger als vor einem halben Jahr (81 Prozent). Im Bau und im Ernährungsgewerbe sind es sogar jeweils 91 Prozent. Noch im Frühjahr 2021 belasteten die Rohstoff- und Materialkosten nur knapp 56 Prozent.
Die mittelständischen Firmenkunden der Volksbanken und Raiffeisenbanken konnten ihre Bilanzqualität in den Jahren 2020 und 2021 mehrheitlich weiter steigern. Nach aktuellem Datenstand kletterte der Bilanzqualitätsindex 2020 gegenüber dem Vorjahr um unerwartet kräftige 26,8 Punkte auf 154,7 Punkte.
Anschließend erhöhte sich der Index 2021 um ebenfalls überraschend deutliche 10,7 Punkte auf 165,4 Punkte. Im Frühjahr 2022 zeichneten sich für die beiden Jahre noch wesentlich schwächere Anstiege ab. Maßgeblich für den starken Anstieg des Bilanzqualitätsindexes waren krisenbedingte
Sondereffekte: Zur Sicherung ihrer Zahlungsfähigkeit und zum Schutz vor Überschuldung in der Coronakrise haben die Unternehmen im Mittel ihre Liquidität spürbar erhöht und ihre Verschuldung erheblich vermindert.
Ein Exkurs zum Krisenjahr 2020 verdeutlicht aber auch, dass die betriebswirtschaftliche Entwicklung in den Unternehmen teilweise recht unterschiedlich verlief. Einige Unternehmen konnten ihren Umsatz und ihren Ertrag trotz des schwierigen Konjunkturumfelds merklich steigern, andere mussten herbe Verluste hinnehmen.
Grundlage für die VR Mittelstandsumfrage sind Telefon- und Onlineinterviews, die im Zeitraum vom 12. September bis zum 17. Oktober 2022 durchgeführt wurden. Die Stichprobe von mehr als 1.000 Unternehmen ist repräsentativ; befragt wurden Inhaber und Geschäftsführer mittelständischer Unternehmen in Deutschland.