Wie tiefe Reifenfurchen in einen weichen Lehmboden grub die Finanzkrise Spuren in den Stolz des Daimler-Konzerns: "Früher erklärten wir dem Käufer gern, was er braucht. Bei der Entwicklung der SMPT-Familie haben wir das umgedreht und fragten erstmal die Kunden, was sie alles wünschen", erklärt Daimler-LKW-Entwicklungschef Georg Weiberg den jüngsten Neuzugang im Baukasten.
Der Bauarbeiter "Arocs" kommt mit neuem Rahmen und Grill, greift aber ansonsten bei seinen Geschwistern Antos und Actros erst mal ab, was die schon vorgearbeitet haben. Das sind 14 Kabinen, die von der kurzen 2,3 Meter schmalen Flachdachhütte bis zum 2,5 Meter breiten Big Space reichen. Dazu kommen 16 Euro-6-Motoren, bei denen der Arocs als Erster die volle Range auffährt, die vom OM 936 (ab 238 PS, 1000 Newtonmeter) und im OM 473 (bis 625 PS, 3000 Newtonmeter) gipfelt, der jetzt auch die Turbocompound-Technik nutzt.
Dabei überträgt eine zweite, dem Turbolader nachgeschaltete Turbine ihre Kraft über eine Welle und eine hydrodynamische Kupplung auf den Rädertrieb des Motors und so direkt auf die Kurbelwelle. Diese Technik wird wieder populärer: Scania hatte sie bereits in den 90er-Jahren und Volvo belebte sie für den neuen FH eben wieder. Daimler holt dank Turbocompound nach eigenen Angaben rund 50 kW oder 68 PS extra, außerdem soll der Verbrauch des Arocs unter hoher Last um zwei Prozent sinken.
Mit "Fleetboard Eco-Support" sollen laut Weiberg trotz Euro 6 gar bis zu fünf Prozent gespart werden, wobei der Entwicklungschef nach Segmenten unterscheidet: Die fünf Prozent gelten für die Baubelieferung. Die Betonmischer sollen bis zu drei Prozent holen, während er einräumt, dass die Kipper etwa auf dem gleichen Niveau liegen dürften wie die Vorgänger in Euro 5.
Der starke OM 473 soll dagegen den V8-Vorgänger OM 502 stets um 0,5 bis 1,5 Prozent unterbieten. Reparatur- und Wartungskosten sollen trotz Euro 6 nicht teurer werden als beim Vorgänger. Die 120.000-Kilometer-Wartungsintervalle soll der Arocs zumindest im Bauzulieferverkehr schaffen. In der Praxis neigen die Bordrechner aber dazu, die LKW selbst bei geringer Belastung auf Langstrecken viel früher in die Werkstatt zu beordern - und sei es nur zur halbjährlichen "Zeitwartung". Der Hauptnachteil der neuen, auf höhere Verbrennungsdrücke ausgelegten OM 47x-Serie ist ihr Gewicht: Der OM 473 wiegt nass 1437 Kilo, der OM 471 ist 200 Kilo leichter. Gegenüber OM 501 und 502 verliert der Arocs so rund 300 Kilo Nutzlast.
DER NEUE TOPMOTOR HAT 3000 NM DREHMOMENT
Wichtiger ist Weiberg aber zu erwähnen, dass das Drehmoment schneller steigt als bei den abgelösten OM-501- und 502-Motoren, die in punkto Kraftentfaltung tendenziell als etwas zögerlich galten. Im Arocs wird der OM 473 in drei Leistungsstufen kommen, die bei 1600 Touren 517, 578 und 625 PS leisten. Bei 1100 Umdrehungen bieten sie 2600, 2800 und 3000 Newtonmeter Drehmoment. Schon knapp über der Leerlaufdrehzahl sollen davon 2500 Newtonmeter bereitstehen. Erfahrungen mit dem Actros bestätigen das: Da kann man auch eine auf 40 Tonnen ausgeladene Fuhre einmal unter 900 Touren herabfallen lassen. Trotzdem arbeitet sich der Motor aus dieser Senke leicht wieder heraus.
Die Bremsleistung beträgt maximal 475 kW. Neben dem OM 473 sind die aus Antos und Actros bekannten OM 470 und 471 verfügbar, die wie gehabt 326 bis 510 PS leisten. Den Einstieg bildet der OM 936, der 238 bis 354 PS bietet und mit 1000 bis 1400 Nm Drehmoment aufwartet.
Da Powershift laut Weiberg auch im Baubereich bei 40 Prozent aller Autos geordert wird (Tendenz steigend), wird sie auch beim Arocs Serie mit acht, zwölf oder 16 Gängen kommen. Basis ist die Poweroder Offroad-Version, die optional jeweils umbestellt werden kann. Beide Programme verfügen, wie beim Actros, über je drei Fahrmodi: Den Standard-Modus mit Eco-Roll, den manuellen und den Power-Modus, bei dem die Drehzahl immer um 100 Touren erhöht wird. Im Offroad-Modus fährt der Arocs generell mit erhöhter Drehzahl. Nach wie vor erkennt ein Neigungswinkelsensor Gefälle und hält dann die Gänge. Leichtes Anfahren und Rangieren in schwerem Gelände soll die neue Kriechfunktion mit integriertem Manövriermodus erleichtern. Dabei kann der Fahrer die Geschwindigkeit allein übers Bremspedal steuern. Dafür erhöht Powershift das Anfahrdrehmoment. Hinzu kommen die bekannten Fahrmodi und Zusatzfunktionen wie der Freischaukel-Modus.
VOM ERSTEN DIREKT IN DEN RÜCKWÄRTSGANG
Sinn macht auch wieder die Möglichkeit, direkt vom Ersten in den Rückwärtsgang schalten zu können, ohne dazwischen über Leerlauf gehen zu müssen. Außerdem bietet Daimler für den Arocs extra lang übersetzte Rückwärtsgänge an, um größere Rangierdistanzen, die zum Beispiel auf (Auto-)Bahnbaustellen vorkommen, mit höheren Geschwindigkeiten zurücklegen zu können. Kurios: Die neuen, jetzt seilzugbetätigten Neun- respektive 16-Gang-Handschaltungen kosten Aufpreis!
Auch die Kupplungen sind neu: Bei einer angetriebenen Achse überträgt eine Einscheibenversion bis zu 2600 Newtonmeter, während bei mehreren angetriebenen Achsen und höheren Drehmomenten eine Zweischeibenversion bis zu 3000 Newtonmeter stemmt.
Die Schwerlastfraktion dürfte sich über die verschleißfreie Turbo-Retarderkupplung von Voith freuen, mit der sich auch höchste Gewichte sanft anfahren und abbremsen lassen. Vom Actros kennen die Kollegen bereits den Sekundär-Wasserretarder, den es ab Oktober auch für den OM 936 geben wird.
Achsseitig fährt Daimler wieder das Komplettprogramm vom 4x2 bis zum 8x8/4 auf und bringt auch einen hydraulischen Radnabenantrieb für die Vorderachse. Der soll gegenüber den Standard-Allradern bis zu 500 Kilo Gewicht und bis zu zwölf Prozent Sprit sparen.
DREI ALLRADVARIANTEN FÜR JEGLICHEN EINSATZ
Die nächste Stufe ist der Zuschaltallrad, bei der die Vorderachse über das Verteilergetriebe VG 3000 im Stand zugeschaltet wird - Untersetzung ist keine verfügbar. Die gibt es nur beim Permanent-Allrad, der auch eine Sperre beinhaltet. Die Längs- und Quersperren schaltet man wie gehabt per Drehschalter der Reihe nach längs, hinten-quer, vorne-quer. ABS kann man bei den Allradern abschalten.
Auch bei Arocs gibt es gewichtsoptimierte "Loader" als 4x2-Sattelzugmaschinen und 8x4/4-Mischer, die maximal 9250 Kilo wiegen sollen und so als 32-Tonner bis zu acht Kubikmeter Beton fahren können. Dabei kommen wie beim Axor wieder die einzelbereiften Hinterräder mit 385/65er-Susis zum Einsatz. Dazu versetzte Daimler die Radaufnahme nach außen.
Den Gegenpart dazu bilden die "Grounder", die mit extra starken Neun-Millimeter-Rahmen für harte Einsätze gedacht sind und damit als Vierachser auch die offiziellen 41 Tonnen Gesamtgewicht abdecken, die in einigen Ländern erlaubt sind. Die Rahmen, die generell höher und schwerer ausgelegt sind als beim Actros, wurden ganz neu entwickelt. Es gibt zwei Varianten, die mit bis zu 1120 Millimeter Oberkantenhöhe bis zu 115 Millimeter höher liegen als beim Actros, um mehr Bodenfreiheit zu schaffen. Nochmal 45 Millimeter höher thronen Fahrer der Offroad-Kipper und Mischer-Fahrgestelle.
Für schwere Einsätze gedacht ist die 744 Millimeter breite Version aus acht oder neun Millimeter starkem kalt umgeformten Feinkornstahl in Verbindung mit 100 Millimeter breiten Stahlfedern. Muss das Tandem mehr als 26 Tonnen tragen, gibt es eine extra schwere Tandemfederung mit Flanschbuchsenlager.
Die neuen Rahmen sollen auch den Verkäufern die Beratung erleichtern und aufwändige Umbau- oder Sonderkonfigurationsmaßnahmen ersparen. Jetzt gibt es zum Beispiel die 4x2-Versionen als Standard mit Blatt- oder Luftfederung, nutzlastoptimierte 4x2-Loader, 4x4-20-Tonnen-Allrader oder als extra robuste 4x4-"Grounder".
Umbaufrei ab Werk kommen jetzt auch Vierachser mit drei Hinterachsen, die andere LKW-Hersteller schon seit längerem ab Werk anbieten. Der 8x4/4 ENA basiert auf einem 6x4-Dreiachser, der eine zwangsgelenkte liftbare Nachlaufachse erhält. Neu ist auch das 8x2/4-Pritschenfahrgestell mit zwei gelenkten Vorderachsen und einer gelenkten Hinterachse. W
ENIGER UMBAUTEN, STÄRKERER NEBENABTRIEB
Die Nebenabtriebe ergänzte Daimler um eine noch stärkere motorseitige Variante mit 900 Newtonmeter. Ebenfalls neu sind ein zusätzlicher Leistungsentnahmepunkt vorn am Motor und ein kupplungsabhängiger Kombiantrieb zur Nutzung im Stand oder während der Fahrt. Alle Nebenabtriebe lassen sich sowohl mit Powershift als auch mit dem Sekundär-Retarder kombinieren.
Wer überwiegend auf der Straße fährt, dürfte zum 834 Millimeter breiten Rahmen greifen, der sieben respektive acht Millimeter stark baut und an die neue Vierbalg-Hinterachsluftfederung gekoppelt ist, die für die Drei- und Vierachser verfügbar ist. Bei den Zweiachsern änderte Daimler die Radstände und rückte dabei Vorder- und Hinterachse um 60 Millimeter nach hinten, um auch Reifenformate jenseits der 13 R22.5 ohne Umbauten aufziehen zu können. Bei den Vierachsern wanderten die Lenkachsen 60 Millimeter nach hinten, während die Hinterachsen um 110 Millimeter zurückrutschten. Das soll auch die Gewichtsverteilung optimieren.
Der Rampenwinkel soll zwei bis 2,5 Grad besser sein, der Böschungswinkel ein bis 1,5 Grad. Die Aufbauer dürften sich auch beim Arocs über das 50-Millimeter-Lochraster und fest definierte Anbau- und Aufbauzonen freuen. Selbst die Vorrüstung von Kranbauplatten bedachte Daimler. Dazu kommen die Schnittstelle für Elektrik und Elektronik sowie ein parametrierbares Sondermodul. Als kleines Kunstwerk darf der stehende Auspuff gelten, der beifahrerseitig austritt und dort auch seine "Chemiefabrik" hat. Da er aus Platzgründen hinter der Fahrerseite steht, muss er sich erstmal unterm Rahmen dorthin schlängeln. Interessant ist beim 8x4 auch der Batteriekasten, der zwischen die beiden Vorderachsen wanderte.
Mehr Lenkkomfort und -präzision soll die elektrohydraulische Servolenkung bringen, die die Lenkkraft geschwindigkeitsabhängig unterstützt und für einen aktiven Lenkungsrücklauf sorgt. Sie ist bei den schweren Typen Serie und für die leichteren Versionen Option. Vor allem die Vierachser dürften sich so viel exakter steuern lassen.
In Sachen Sicherheit lässt sich Daimler nicht lumpen und bietet für den Arocs das komplette Paket des Actros an, bis hin zum Active Brake Assist 3, der auch vor stehenden Hindernissen eine Vollbremsung hinlegen kann. Standardseitig verzögern rundum Scheiben, die auch mit AP-Achse kombinierbar sind. Optional gibt es weiterhin die Mischung Scheiben vorn/Trommeln hinten oder Trommeln rundum.
Das gilt auch für das serienmäßige Fleetboard Eco-Support und die optionale Fleetboard-Einsatzanalyse. Wie viel Sinn das beim Arocs macht, muss jeder für sich selbst bestimmen, das allerdings nicht allzu oft: Die Bau-LKW bleiben laut Weiberg im Durchschnitt zehn Jahre(!) im Fuhrpark.