Der orangefarbene Hino-Truck auf dem Parkplatz in einem der Außenbezirke von Lahore ist ein 500 PS starkes Kunstwerk, das seinesgleichen sucht. Bunte Klebearbeiten und Zierteile an allen Ecken und Enden, sogar die Front- und Seitenscheiben sind mit Klebefolien verziert. Auch vor dem hölzernen Ladeaufbau machen die Verschönerungen nicht halt. Feinster Schmuck geklebt, gemalt, ins Holz geschnitzt oder in Weißblech gepunzt, von oben bis unten. Sogar die Radnaben des Dreiachsers sind mit bunten Reflektoren verziert.
Und ganz oben schwebt die imposante Krone des Lastwagens. So nennen pakistanische Fahrer die Verlängerung der Ladefläche über dem Kabinendach. Verziert ist sie beim Hino-Showtruck mit Bildern der Kaaba in Mekka, dem heiligsten Heiligtum gläubiger Moslems. Das Beste aber ist die riesige Stoßstange, die im Stil alter Westernlokomotiven wie eine Ramme dem Fahrzeug Schutz nach vorne geben soll; ein typisches Merkmal pakistanischer Lastwagen. Extra dafür werden hier Fahrzeugrahmen bis zu einem Meter nach vorne verlängert und die Originalscheinwerfer versetzt.
Abgerundet wird das Ganze durch Reihen von Plastikperlen und kleinen Glöckchen, den so genannten Glücks-Charms. Beim Anfahren, Bremsen und auf holprigen Wegen machen sie lauten Krach und sollen damit böse Geister vertreiben- zur Sicherheit der Besatzung.
"TRUCK ART" HEISST DIESE KUNSTFORM. SIE IST EIN EXPORTSCHLAGER
Nirgendwo sonst auf der Welt wird derart viel Kult um das Aussehen von Lastwagen getrieben wie in Pakistan. Kaum einer ist hier ohne schmückendes Beiwerk unterwegs. Besonders verbreitet sind gemalte Bilder von Stars oder Sternchen, Tieren, Waffengattungen, Landschaft en, religiösen Wahrzeichen oder bunten Blumenornamenten. Für diese ganz spezielle Kunst hat sich inzwischen national wie international der Begriff Truck Art etabliert. Dabei ist Truck Art so fest mit der Geschichte Pakistans verwoben, dass sich sogar Ausstellungsstücke in zwei wichtigen pakistanischen Museen finden. So steht im Kulturmuseum in Islamabad ein gestylter Bedford aus den 60er-Jahren und es finden sich zahlreiche verzierte Lastwagenteile in den Ausstellungshallen. Und an den Wänden der National Art Gallery hängen Gemälde bekannter Lkw-Künstler.
Zurückgehen soll die Begeisterung für die Verschönerung von Lastwagen, Bussen und Rikschas auf Pakistans Straßen auf Zeiten, als Männer noch hoch zu Ross oder Kamel unterwegs waren. Schon damals gehörte es zum guten Ton, sich mit geschmückten Sätteln, edlem Zaumzeug und bunten Satteldecken zu präsentieren .
Pakistanische Truck Kunst hat sich in den letzten Jahren sogar zum Exportschlager gemausert. An dieser Entwicklung hat auch Nusrat Iqbal, einer der berühmtesten Lkw-Künstler Pakistans, Anteil. Der 41-Jährige wurde international bekannt, nachdem er im australischen Melbourne eine Straßenbahn, in London einen Bus und in den Vereinigten Staaten zwei Rikschas nach pakistanischer Art gestaltete. Das lenkte die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf diese ganz spezielle Kunstform.
Inzwischen verzieren die bunten Motive Gegenstände des täglichen Bedarfs wie Tassen, Teller, Kisten oder Ventilatoren und werden von Pakistan aus weltweit exportiert.
IN EINEM GESCHMÜCKTEN LKW STECKEN FÜNF JAHRESGEHÄLTER EINES FAHRERS
Dabei ist Nusrat Iqbal seinen Wurzeln als Lkw-Gestalter treu geblieben. Sechs bis acht Lastwagen verlassen monatlich seine Werkstatt in Sohrab Goth, einem Ortsteil von Karachi. Sieben Handwerker beschäftigt er dort, welche die Fahrzeuge nach seinen Entwürfen umbauen, bemalen und bekleben. Bei Bedarf wird der Personalstamm aufgestockt, denn länger als drei oder vier Wochen soll im Interesse der Kunden kein Fahrzeug im Atelier bleiben.
"Als Allererstes wird der Preis besprochen, denn danach richtet sich der Aufwand, den wir betreiben", erzählt Nusrat. Ansonsten trifft er mit den Kunden nur vage Absprachen darüber, wie der Lastwagen später auszusehen hat. Den Rest bestimmt die künstlerische Freiheit. Die Preise reichen dabei von hundert Euro für ein paar handgemalte Bilder bis zu achttausend Euro für einen voll gestalteten Truck. Das ist das fünffache Jahresgehalt eines pakistanischen Lkw-Fahrers. Fünf oder sechs Jahre machen die motorisierten Kunstwerke dann für den Besitzer und Fahrer Staat auf der Straße, bevor wieder die Künstler ran müssen- zum Aufpeppen der Farben, die in der heißen Sonne Pakistans ziemlich schnell verblassen.
Einer, der seinen Lastwagen gerade in Nusrat Iqbals Werkstatt hat, ist Mohammed Raza. Erst vor ein paar Wochen ist der 30-Jährige mit einem 23 Jahre alten Mazda ins Transportgeschäft eingestiegen. Und brachte den runtergekommenen 3,5 Tonner- wie könnte es in Pakistan anders sein - nach der technischen Instandsetzung sofort zum Truckausstatter. Warum er gleich zu Beginn seiner Karriere als Transporteur Zehntausende von Rupien in das Outfit eines alten Lastwagens steckt, erklärt er mit einleuchtender Logik: "Ein schön verzierter Lkw zeigt potenziellen Kunden, dass es dem Transporteur finanziell gut geht und man geht davon aus, dass dann auch die Technik stimmt. Außerdem passen Fahrer auf einen schönen Lastwagen besser auf und identifizieren sich intensiver mit dem Unternehmen! "Mohammed Razas zukünftiger Chauffeur darf deshalb sogar mitbestimmen, wie sein Arbeitsgerät aussehen soll. Aus unternehmerischer Sicht ist das sinnvoll, denn gute, engagierte Fahrer sind auch in Pakistan Mangelware.