Eine Überschrift, die bestens zum aktuellen Test-Scania gepasst hätte, wäre "Spatzendurst und Schneckentempo" gewesen. Der bislang einzige "SCR-only"-Motor im Portfolio des schwedischen Herstellers glänzt mit niedrigstem Dieseldurst. Aber die neue Verbrauchsrekordfahrt auf der TRUCKER-Supertestrunde war zugleich auch die bislang langsamste Tour.
Schneckentempo und Spatzendurst gehen dabei also Hand in Hand. Mit dem Test-Truck präsentiert Scania die Weiterentwicklung des GPS-gesteuerten Tempomaten "CCAP" und kombiniert diesen erstmals mit Eco-Roll - also Rollen ohne eingelegtem Gang, wenn sich das Fahrzeug im Schubbetrieb befindet. Zur normalen Funktion von CCAP adaptierte Scania mit Vorstellung der neuen Streamline-Modelle eine Eco-Funktion, die das Tempo beim Überfahren von Kuppen noch weiter fallen lässt, als in Standard-Einstellung - zwölf, statt nur acht Prozent. Zudem erlaubt der Eco-Tempomat kurze Geschwindigkeitsüberschwinger in den Bereich von 92 km/h, bei 85 km/h Setzgeschwindigkeit.
WENN ES DIE TOPOGRAPHIE ERLAUBT, ROLLT DER SCANIA MIT NUR 75 KM/H
Im konkreten Fall nimmt der G 410 an Steigungen so früh Gas zurück, dass er mit gerade noch 75 km/h über die Kuppe rollt. Er macht dies allerdings nur, wenn im folgenden Gefälle nahezu wieder 85 km/h Marschtempo durch die Schwerkraft realisiert werden können. Dabei hilft das neue Eco-Roll. Warum allerdings Scania die Kupplung betätigt, Neutral einlegt und die Kupplung wieder schließt, verstehen wir nicht. Andere Hersteller lösen Eco-Roll über die Neutralstellung der Vorschaltgruppe - und gewährleisten so, dass im Notfall zumindest wieder schnell ein Gang eingelegt werden kann.
Folgt ein längeres Gefälle, beschleunigt der Zug alleine durch die Energie seiner Masse kurzzeitig auch mal über 90 km/h. Eine Vorwarnfunktion im Display informiert den Fahrer, damit solche Schwungspitzen nicht zu einem ungewollten "Ereignis" im Digi-Tacho-Protokoll mutieren ...
Mit neu abgestimmten GPS-Tempomat hat Scania dem automatisierten Getriebe ebenfalls eine veränderte Schaltstrategie verordnet. Permanent überwacht Kollege Computer Drehzahl, Last, Steigungsgradient und Länge des Berges. Wann immer praktikabel, bleibt der größtmögliche Gang eingelegt. An einigen Anstiegen der Testrunde "nudelt" der 12,7-Liter-Sechszylinder mit gerade mal gut 900 Touren und stemmt die knapp 40 Tonnen über den Hügel. Drehmoment hat er offensichtlich genug!
Diese Auslegung führt allerdings auch zu sinkender Transportgeschwindigkeit. Immerhin hat's auch sein Gutes: Schnellere LKW ziehen mit so großem Geschwindigkeitsüberschuss vorbei, dass sie im folgenden Gefälle - das der Scania frei rollend und flott bewältigt - nicht zum Hindernis werden. Auf jeden Fall reichen die kleinen Spitzen über 90 km/h nicht aus, um das durch untertouriges Fahren und Eco-Tempomat verursachte Bummeln wieder wett zu machen.
Seinen Beitrag zum guten Verbrauchsergebnis leistet das neue 410-PS-Triebwerk. Von der unökonomischen Abgasrückführung befreit, kann es quasi frei durchatmen. Technisch einfach gehalten, wird der knapp 13 Liter große Reihenmotor von einer Common-Rail-Einspritzung - Scania nennt es HPI - befeuert und ein einzelner Standard-Turbo mit Ladeluftkühlung versorgt ihn mit Sauerstoff. Der für Flotten und mittelschwere Einsätze gedachte Motor mobilisiert bei adäquaten 1000 Touren ein maximales Drehmoment von 2150 Nm. Das Aggregat hängt gut am Gas, ist auf niedrige Drehzahlen abonniert und unter dem ausgeprägten Motortunnel kaum zu hören. Zwar wäre er durchaus drehfreudig, wird aber regelmäßig von der Getriebesteuerung in Zaum, sprich im grünen Bereich gehalten.
MIT SIEBEN PROZENT ADBLUE BRAUCHT SCR-ONLY MEHR HARNSTOFF ALS AGR
Lohn dieser grundsätzlich verbrauchsmindernden Auslegung ist, wie eingangs bereits erwähnt, ein neuer Verbrauchsrekord auf der TRUCKER-Supertestrunde. Wir kalkulieren bis dato mit einem kombinierten Verbrauch, also Diesel plus Adblue - letzteres mit 44-prozentigem Kostenanteil. Real genehmigt sich der Scania ziemlich exakt sieben Prozent Adblue. 24,2 Liter Gesamtverbrauch entsprechen also einem realen Dieselverbrauch von 23,5 Liter Diesel pro 100 km! Das ist selbst bei unserem Einsatzprofil mit Leerfahrt und Teilbeladung ein äußert respektabler Wert.
Der neue Motor ist dabei nicht nur sparsam, sondern hat auch in anderen Bereichen an Qualität zugelegt. Die drehzahlsenkende Auslegung, die beim Testfahrzeug durch eine lange 2,59er- Hinterachse unterstützt wurde, machte es notwendig, den Antrieb besser auszubalancieren. Schüttelten frühere Motoren bei unter 1000 Touren wie startende Hubschrauber, läuft der aktuelle DC13 vorbildlich vibrationsarm. Selbst auf der Landstraße mit 60 km/h im höchsten Gang läuft der Sechszylinder turbinenartig.
Allerdings gefällt Opticruise diese "Gangart" nicht, es bevorzugt den elften Gang. Doch auch mit rund 1000 Touren bleibt der 12,7-Liter verbrauchsarm. An den leichten Steigungen der B300 schalten viele Fahrzeuge zurück in Stufe zehn. Der Schwede bollert auch hier im Elften hoch und spart sich so die paar Zehntel, die er in den Flachstücken vielleicht mehr verbraucht.
Die insgesamt sehr ökonomische Auslegung bedeutet aber nicht, dass wir mit Opticruise uneingeschränkt zufrieden wären. Gerade beim Ausrollen schaltet der "Automat" Gang für Gang zurück und missfällt so durch Unruhe im Antriebsstrang. Das machen andere Hersteller besser - dort bleibt der aktuelle Gang drin, bis der Fahrer wieder Gas gibt. Erst dann wird die passende Fahrstufe eingelegt. Das sorgt für erheblich mehr Ruhe. Zudem sollte Scania überlegen, ob man Eco-Roll nicht auch aktivieren können sollte, wenn der Fahrer nicht im Tempomatbetrieb fährt. So nämlich profitieren all diejenigen Chauffeure nicht vom neuen System, die lieber "manuell" Gas geben.
BEI DEN UNTERNEHMERN PUNKTET DER G 410 DURCH PREIS UND NUTZLAST
Abseits des Antriebsstrangs zeigt sich der G 410 mit gewohnten Qualitäten. Insgesamt spielt er die Rolle des Fahraktiven - vor allem an der Hinterhand ist er recht straff ausgelegt. Für ein Plus an Komfort sorgt im Test-Truck die optionale Vierbalg-Luftfederung an der Hinterachse. Dank direkter Lenkung lässt sich der Schwede behände und zielgenau durch die engen Kurven der Handlingrunde zirkeln. Er ist fast eher "flotter Verteiler" als komfortabler Langstrecken-Laster. Während er bei den Unternehmern durch akzeptablen Preis und vor allem höhere Nutzlast Punkte sammelt, wünscht man sich als Fahrer aber die größere "R"-Kabine.
Im Hinblick auf die Nutzlast könnte Scania noch rund hundert Kilo mehr herausholen, wenn der Kunde auf den Retarder verzichten würde. Angesichts der schwachen Motorbremse, der hervorragenden Bremsintegration der Hydrobremse aber auch dem höheren Komfort für den Fahrer, würden wir davon aber abraten. Beim manuellen Fahren haben wir den separaten Fußknopf für die Motorbremsbedienung wieder schätzen gelernt. Jetzt müsste das System nur noch darauf verzichten, kurz vor dem Stillstand in den niedrigstmöglichen Gang zu schalten. Das bremst zwar noch mal, schüttelt aber das ganze Auto - samt Fahrer - durch.
DER SCANIA IST IN DIE JAHRE GEKOMMEN -HÄLT ABER NOCH IMMER GUT MIT
In einem Punkt merkt man dem Scania sein Alter an: bei den Sichtverhältnissen. Die Scheibe verzerrt seitlich stark, die Spiegel zittern noch immer und die Rundumsicht ist nicht wirklich gut. Zudem lassen sich nur die Hauptspiegel elektrisch verstellen. Eine manuelle Dachluke ist bei einem Premium-Produkt auch nicht statthaft - ebenso wenig wie der kleine Kühlschrank. In der Endabrechnung hat Scania dennoch einen großen Wurf gelandet. Mit den jetzt verfügbaren, gut funktionierenden Assistenzsystemen, dem Verzicht auf AGR sowie dem intelligenten GPS-Tempomaten schließt der Greif zu komplett neuen Konkurrenten auf. So hält er locker durch, bis das neue Modell kommt.