Sie sind klein, flexibel, arbeiten sieben Tage die Woche rund um die Uhr und schleppen eine ganze Menge von A nach B: Ameisen können bis zum 30-fachen ihres Körpergewichts tragen.
Die bereiften "Ameisen" des Transportgewerbes: So könnte man die Fahrzeuge bezeichnen, die bis zu 3,5 Tonnen wiegen, häufig mit einer Dachschlafkabine ausgerüstet sind, ein osteuropäisches Kennzeichen tragen und immer öfter auf Deutschlands Straßen zu finden sind. Sie sind wendig, gelten als fleißig und treten manchmal in Gruppen auf: vor den Werkstoren großer Handels- und Industriebetriebe, wo sie auf Ware warten.
"SCHNELL UND JEDERZEIT VERFÜGBAR"
Solche Beschreibungen aus dem Güterkraftverkehrsgewerbe mehren sich. Und diese "Transportameisen" sind tatsächlich schnell verfügbar: "Sobald man in einer Online-Börse eine kleine Sendung eingibt, die für einen Sprinter passt, steht das Telefon nicht mehr still", berichtet Willi Kellershohn, Geschäftsführer der Spedition Kellershohn.
Wer sich jedoch auf die Suche macht nach Zahlen zu diesen Ameisen mit vier Rädern, der fühlt sich an die berühmte Stecknadel im Heu- respektive Ameisenhaufen erinnert. Denn verlässliche Daten, wie viele solcher Fahrzeuge sich in Deutschland tummeln, gibt es nicht. Da ist man schon dankbar für den Anhaltspunkt, den Dita Úterská von Pony Auto im tschechischen Hranice liefert. Das Unter nehmen ist nach eigenen Angaben der größte Hersteller von Schlafkabinen für Liefer- und Lastwagen in Mitteleuropa. "2011 haben wir 820 Dachschlafkabinen produziert. 2012 waren es 720 und im letzten Jahr 800. Etwa 50 Prozent davon sind für Fahrzeuge bis 3,5 Tonnen", sagt Úterská. 30 Prozent der Top-Sleeper, die es bei Pony ab 1900 Euro gibt, gehen in den Export, die meisten laut Úterská in die Slowakei. Deutschland rangiert noch vor Polen auf Rang zwei.
Die Produktionszahlen hören sich nicht nach wirklich viel an. Dabei gibt es gute Gründe, 3,5 Tonnen-Fahrzeuge einzusetzen, denn sie genießen die Privilegien der PKW. Einzige Ausnahme ist die Lenkzeiterfassung für LKW in der Gewichtsklasse zwischen 2,8 und 3,5 Tonnen: Ist im Fahrzeug ein digitaler Tachograf oder Fahrtenschreiber eingebaut, muss dieser genutzt werden (dessen Einbau ist jedoch keine Pflicht). Gibt es kein solches Gerät, müssen handschriftliche Aufzeichnungen oder Eintragungen auf Tageskontrollblättern die Lenk- und Ruhezeiten belegen. Die Kontrollblätter tragen in der Branche jedoch schon seit Jahren bezeichnenderweise den Namen "Lügenzettel", weil sie leicht zu manipulieren sind.
RECHTLICHE REGELUNG IST FÜR ALLE GLEICH
Wichtig: Die Vorteile der 3,5-Tonner gelten für alle Unternehmen, egal ob sie ihren Sitz in Ost- oder Südeuropa oder in Deutschland haben. Da also für die Klein-Laster im Vergleich zum gewerblichen Güterkraftverkehr einige Bestimmungen nicht gelten, wäre es durchaus denkbar, dass die Transporter auf dem Vormarsch sind.
Die Behörden äußern sich eher vorsichtig, da auch sie über keine Zahlen verfügen. "Insofern können wir keine Aussage dazu treffen, ob Kleintransporter aus Osteuropa mehr als bisher auf hiesigen Straßen unterwegs sind", sagt Dietmar Keck, Sprecher beim Polizeipräsidium Land Brandenburg. Er verweist darauf, dass der Anteil der bei Kontrollen bemängelten Fahrzeuge bei in- und ausländischen Transportern ungefähr gleich sei.
Deutlicher wird Marko Laske, Sprecher der Polizeidirektion Dresden. Den dortigen LKW-Kontrolltrupps sei aufgefallen, dass der Verkehr mit Kleintransportern steige. "Häufiger gibt es Probleme mit mangelnder Ladungssicherung und vor allem mit Überladung", berichtet Laske.
EXPERTEN BEWERTEN DEN TREND UNTERSCHIEDLICH
Ähnlich lautet die Einschätzung des Bundesamtes für Güterverkehr (BAG), Köln. "Die zunehmende Zahl der ausländischen Transporter unter 3,5 Tonnen ist uns auch zu Ohren gekommen", sagt Sprecher Horst Roitsch. Nach Anfrage von ausgewählten Kontrolleinheiten sei regional eine Zunahme von Kleintransportern bis 3,5 Tonnen aus Osteuropa festgestellt worden, so zum Beispiel in Bayern und Sachsen. "In anderen Regionen hat sich diese Beobachtung dagegen nicht bestätigt", so Roitsch.
Unterschiedliche Aussagen erhält man von den Verbänden. Beim Landesverband Bayerischer Transport- und Logistikunternehmen (LBT) sieht man in den 3,5-Tonnern keine Bedrohung. "Das betrifft nicht unser Klientel, sondern eher die KEP-Dienste", sagt Sebastian Lechner, geschäftsführendes Präsidiumsmitglied im LBT. Immerhin bis zu acht Paletten finden in den Kleinlastern Platz. Allerdings ist die Zuladung auf knapp über eine Tonne beschränkt.
Auch Dagmar Wäscher, Vorsitzende des Bundesverbandes der Transportunternehmen (BVT), zeigt sich gelassen. Zwar hat der Verband auch einige Kurier-, Express- und Paketdienste (KEP) in seinen Reihen. "Die bedienen jedoch vorwiegend den regionalen Raum. Da sind Kenntnisse des entsprechenden Marktes erforderlich, die die osteuropäischen Anbieter in der Regel nicht besitzen", sagt Wäscher. Allerdings will sie nicht ausschließen, dass das eine oder andere BVT-Mitglied einen Auftrag an die Klein-Transporter verloren hat.
SIE SIND VOR ALLEM IM KURIERMARKT UNTERWEGS
Vorwiegend sind die auch als "Polen-Sprinter" bezeichneten Transporter offenbar im Kuriermarkt tätig. Vor allem Betriebe im Osten Deutschlands spüren den neuen Wettbewerb. "Die Konkurrenz ist härter geworden", bestätigt Jürgen Paczulla, Transportunternehmer aus Dallgow-Döberitz in der Nähe von Berlin. Seine Firma Pefex ist auf eilige Transporte spezialisiert. Paczulla bringt zum Beispiel Ersatzteile zu Kraftwerken oder zu Windkraftanlagen mit einer eigenen Transporterflotte.
Dass sich Konkurrenten aus Osteuropa im Segment bis 3,5 Tonnen nicht immer an die Regeln halten, sieht er unterwegs öfter. "Da werden Zuladungen genommen, die jeder Beschreibung spotten", so Paczulla. "Ich wundere mich, was die ihren Wagen zumuten." Den Konkurrenten aus Polen, Tschechien oder der Slowakei will Paczulla allerdings keinen Vorwurf machen. Er findet, dass die Politik am Zug ist. "Man sollte auf dem Markt generell über Zugangsberechtigungen etwa in Form von Qualifizierungsnachweisen nachdenken."
"Die Zahl der 3,5-Tonner aus Osteuropa hat auf jeden Fall zugenommen", sagt Michael Neukirchen. Neukirchen liegen zwar auch keine Zahlen vor. Aber als Geschäftsführer der Frachtenbörse Couriernet und Inhaber der NTS Internationale Expressverkehre hat er einen guten Einblick in das Marktgeschehen. "Vor zehn Jahren sind wir selber noch nach Spanien mit deutschem Personal gefahren und haben für eine 1900 Kilometer lange Strecke 2000 Euro erhalten", sagt er. Heute liege der Preis etwa bei der Hälfte. Das sei mit deutschen Fahrern und Fahrzeugen nicht zu schaffen. Er hat auch die Erfahrung gemacht, dass die meisten der osteuropäischen Kurierfahrzeuge mit einer hohen Qualität unterwegs sind. "Die arbeiten zuverlässig und können sich mehrmalige Gesetzesverstöße gar nicht erlauben, weil sie dann Kundschaft verlieren", so sein Eindruck.
DER BDKEP FORDERT EINHEITLICHE REGELUNGEN
Beim Bundesverband Kurier-Express-Postdienste (BdKEP) in Berlin regt sich Widerstand gegen die Kleintransporter. Um hier Abhilfe zu schaffen, fordert Andreas Schumann, Vorsitzender des BdKEP, eine EU-weite Harmonisierung der fahrpersonalrechtlichen Aufzeichnungspflichten. "Die Länder regeln diese Aufzeichnungspflichten anders. Das führt im Leichttransporteurs-Segment zu unnötigen Wettbewerbsverzerrungen", kritisiert er.
Daher schlägt er vor: Entweder der Gesetzgeber schreibt künftig EU-weit einheitlich den digitalen Tachografen für alle gewerblichen Fahrzeuge vor - unabhängig von ihrem Gesamtgewicht. Oder der digitale Tachograf beziehungsweise die Aufzeichnungspflichten sind generell erst für gewerbliche LKW über einem Gesamtgewicht von 3,5 Tonnen (einschließlich Anhänger) verpflichtend, so Schumann.
Und wie will Schumann künftig die Erlaubnispflicht im Güterkraftverkehrsgewerbe geregelt wissen? Wäre es aus Sicht der Branche zielführend, dass in Zukunft jeder Unternehmer, der gewerbliche Transporte durchführt, eine Güterkraftverkehrslizenz benötigt - unabhängig vom Gewicht seines eingesetzten Fahrzeugs? Die Verschärfung der Erlaubnispflichten für Transportunternehmen sei nicht zielführend. Stattdessen seien hier eher die Auftraggeber in der Pflicht, führt der BdKEP-Vorsitzende aus. Hintergrund sei, dass sich heute viele Firmen zu unternehmerischer sozialer Verantwortung bekennen - Stichwort Corporate Social Responsibility. "Bei der Auswahl ihrer Transportpartner ", moniert Schumann, "spielt soziale Verantwortung nahezu keine Rolle."
An diesem Punkt, so der BdKEP-Mann, müsste man ansetzen. Denn wenn ein Verlader seine KEP-Partner tatsächlich nach bestimmten Standards auswähle, die neben der fachlichen Eignung und Zuverlässigkeit auch die soziale und nachhaltige Unternehmensführung umfassen, hätten Billigtransporteure im KEP-Segment keine Chance mehr.